SZ-Kostprobe Il Gattopardo

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
SZ-KOSTPROBE IL GATTOPARDO

DIE ZEIT DER LEOPARDEN ist vorüber; angebrochen ist das Zeitalter der Schakale: Auf diese melancholische Kurzformel läßt sich der Roman “Il Gattopardo” bringen, in dem Giuseppe Tomasi, Herzog von Palma und Fürst von Lampedusa das Leben und Sterben seines Urgroßvaters geschildert hat. An Tomasis These vom Untergang aristokratischer Lebenskultur interessiert uns in diesem Zusammenhang natürlich zuallererst der kulinarische Aspekt – und den wiederum beschränkt der Autor in kunstvoller Konzentration auf das Thema Gelatine. So läßt Tomasi gleich im ersten Kapitel Rum-Gelatine auftragen, deren äußere Erscheinung aufs prächtigste den alten Glanz der Aristokratie symbolisiert. Nock kurz vorm Ende erlaben sich die Romanhelden dann an “vielen anderen grausamen Köstlichkeiten”, von denen “die Fleisch-Gelatine in der Farbe der Morgenröte” besonders hervorgehoben werden.

IL GATTOPARDO heißt auch das Lokal, von dem nun die Rede sein wird. Das Buch zum Restaurant liegt gleich rechts neben dem Eingang auf der Vitrine mit den apart angerichteten Vorspeisen. Freilich geht die Liebe des Wirts zu seinem literarischen Vorbild nicht so weit, daß sich dessen Hang zur Gelatine auf der Speisekarte niedergeschlagen hätte. Mit Erleichterung und einiger Sympathie nimmt der Gast statt dessen zur Kenntnis, daß die Küche des Gattopardo ihre Ambitionen weniger auf das WAS als auf das WIE des Angebots richtet. Um bei den Vorspeisen zu bleiben: Eine Insalata di Mare bekommt man bei Hinz und Kunz natürlich auch angeboten – nur besteht er hier eben wirklich aus frischem mit der richtigen Mischung aus Öl, Zwiebeln und Knoblauch gewürzten Krebsen, Muscheln und Tintenfischen, Wollends mustergültig präsentierte sich der Avocado-Salat dessen Bestandteile, hauchdünne Avocado-Schnitten, Flusskrebse, Tomatenschnitzel, Lauchzwiebel und Baby-Spinat sind. Das lobenswerte Bemühen nach Zutaten-Transparenz erstreckt sich auch auf andere Gerichte – so zum Beispiel auf die mit Mozarella und Tomatensauce überbackene “Rigatoni al Forno” die nicht etwa zum mehr oder minder phantasievollen Gemantsche zusammengebacken waren, sondern fürs Auge wie für die Zähne durchaus in ihrer jeweiligen Eigenart wahrnehmbar blieben. Daß auch die Nudeln als solche beißfest auf den Tisch kommen, versteht sich nach alledem schon fast von selbst; wir prüften es anhand der grün-weißen Spaghetti alla Chitarra und der 3-Teigwaren-Komnination Tris della Casa mit zufiedenstellendem Ergebnis nach. Ein Glanzpunkt des Gattopardo sind seine Fischgerichte. Die Coda di Rospo war ob des festen (aber nicht zähen) weißen Fleisches ihr Geld wert. Dei den Calamari überraschte die Grill-Version schon deshalb aufs angenehmste, weil das endlich einmal unzerteilt servierte Riesenstück auch durch die große Geste des Würzens mit Knoblauchstücken und eingelegten Rosmarinzweigen keinerlei Schaden genommen hatte. Wer sich nicht zum Fisch verführen läßt, mag getrost zur Liste der Fleischspeisen greifen. Ob Kalbsleber auf Venezianisch oder Rumpsteak auf Sizilianisch – auch hier waltet außerordentliche Sorgfalt. Zu trinken gibt es neben den gängigen Biersorten (ein schaumloes gewordenes Pils wurde ohne Aufforderung(!) durch ein frisch gezapftes ersetzt) eine Reihe von italienischen Weinen der mittleren bis höhen Preisklasse, wobei man mit dem Angebot in jedem Fall gut zurecht kommt. Schließlich ist das Gattopardo – trotz seines aristokratischen Namens – kein Luxusrestaurant; produziert wird hier im Grunde nichts weiter als jene Einfache, das bekanntlich so schwer zu machen ist. Dies allerdings mit nahezu konstantem Erfolg – was zur Folge hat, daß Spontanbesuche in diesem Restaurant mittlerweile völlig zwecklos und telephonische Voranmeldungen dringend nötig sind. Im ganzen deutet dieser Erfolg ja womöglich doch auf die Tatsache, daß die Lebenskultur in unseren Breiten noch nicht völlig untergegangen ist.
ADRIAN SEIDELBAST

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